Dienstag, 9. Oktober 2012

Brief an D ...

Hallo  ... ,
vielen Dank für Deine Postkarte! Ich hoffe, Du hast einen schönen Feiertag an der Mosel verbracht und konntest Dich dort gut erholen.
Bezüglich Deiner letzten Emails zum Thema Konfessionen habe ich mir über das Wochenende weiter Gedanken gemacht, denn meine Sicht auf die katholische Kirche unterscheidet sich doch von Deiner. Was natürlich daran liegt, dass wir sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben. Ich möchte Dir aber nochmal etwas schreiben zu dem, was mir die katholische Kirche bedeutet, denn ich würde sagen, dass ich die katholische Kirche in existentieller Weise positiv wahrgenommen habe, vielleicht hat sie mein Leben sogar in stärkerem Maße berührt als die evangelische Kirche.
Es fängt schon damit an, wie ich wieder zur Philosophie gekommen bin: Durch die Regensburger Rede des Papstes sowie die Biographie Edith Steins. Diese haben mich wieder zur Philosophie (und zur Religion) gebracht und damit ein Stück weit auch zu mir selbst.
Interessant für Dich könnte auch eine Rede sein, die der Papst in Paris gehalten hat. Hier geht es u.a. um die Rolle der Schrift und der Sprache. Aber nicht nur, sondern auch um die eigentlich philosophische Haltung:
„Wir könnten sagen, daß dies die eigentlich philosophische Haltung ist: Über das Vorletzte hinauszuschauen und sich auf die Suche nach dem Letzten und Eigentlichen zu machen.“
An anderer Stelle heißt es: Diese Suche mache uns auch
„wach für einander“ .
Diese Suche nach den letzten Dingen (Rede in Paris) und der Verweis auf die Weite der Vernunft (Regensburger Rede) stellen für mich ein Aufzeigen von `Freiheitsräumen´ im Sinne etwa von Jaspers dar.  Auch dies halte ich für eine Form der Aufklärung.
Edith Stein studierte und promovierte bei Edmund Husserl und wurde dessen Assistentin. Ihr Nachfolger als Assistent Husserls wurde dann Heidegger. Sie war befreundet mit dem polnischen Philosophen Roman Ingarden, den sie zu fördern versuchte und wohl sogar finanziell unterstützte. Ingarden wurde später Professor in Polen. Karol Wojtyla/Johannes Paul II. ließ sich von ihm über Edith Stein berichten. Edith Stein hatte viermal versucht, sich zu habilitieren. Ihre Arbeiten wurden jedes Mal ungeprüft zurückgegeben, da es für Frauen, noch dazu mit jüdischem Hintergrund, damals „unüblich“ war, sich zu habilitieren. Trotz aller Aussichtslosigkeit für eine Frau jüdischer Herkunft hatte Edith Stein den Mut Philosophie zu studieren mit dem Ziel einer akademischen Laufbahn.
Durch beide, die Reden des Papstes und die Biographie Edith Steins fühlte und fühle ich mich zur Philosophie ermutigt, und dazu, mich auch tiefer mit dem Glauben zu beschäftigen.
Zum einen wird meine Sicht auf die katholische Kirche auf diese Weise von dem bestimmt, was ich gelesen habe, zum anderen aber von Erlebnissen, die ich in Polen gemacht habe, und die sich mir eingeprägt haben.
Du weißt ja, glaube ich, dass ich mehrfach in Krzyzowa war. Die Errichtung der dortigen Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung wurde u.a. gefördert durch die Jesuiten sowie den „Klub der Katholischen Intelligenz“ („KIK“) in Breslau. Der für uns vielleicht ungewöhnlich klingende Name (des „KIK“) kommt - wie ich gelernt habe - daher, dass zur Zeit der Errichtung dieser Klubs von den Behörden verfügt wurde, dass diese keine Massenorganisationen sein und keine Arbeiter als Mitglieder haben dürften. Diese Klubs suchten nach einem Platz der Laien im Leben der Kirche und in der Gesellschaft. Arbeitsgruppen, Vorlesungen, Seminare, Fahrten, Kulturveranstaltungen, Versöhnungsarbeit, Anregung des Bürgersinns vor dem Hintergrund staatlicher Observation sind hier einzelne Stichworte. Diese Klubs waren wohl "an allen wichtigen Ereignissen" in Polen beteiligt und unterstützten auch die Solidarnosc. Hier ist für mich eben ein Beispiel dafür, wie wichtig vom Glauben getragene Institutionen sein können, indem sie etwa `Freiheitsräume´ eröffnen oder aufzeigen, die Weite der Vernunft wirklich werden lassen. Dies beim Blick auf die Kirche zu ignorieren hieße in meinen Augen, sich dem Leben entgegen zu stellen.
Eine Erinnerung habe ich hier z.B. an Frau Unger vom „KIK“ aus Breslau, die alle im Grunde anspornte, oder wie auch immer man sagen will, bei der Durchführung einer Tagung zur europäischen Verständigung, die ich in Kreisau besucht habe, einem Ort zum `wach für einander werden´. Ich weiß auch noch, dass ich am Schlusstag früher gehen musste, um den letzten Bus nach Schweidnitz und Breslau noch zu bekommen, dafür aber die letzten Veranstaltungen hätte verpassen müssen und sie mich auf der Treppe anhielt und in etwa sagte: „Sie gehen schon? Kommt gar nicht in Frage! Ich suche ihnen jemanden, der sie heute Abend mit nach Breslau nimmt.“ Und nach ca. 10 Sekunden hatte sie gleich jemanden gefunden. So was sind natürlich nur kleine Erinnerungen, prägen sich aber irgendwie ein. Und bestimmen so auch zusammen mit Freundschaften, die ich dort geschlossen habe, mein Bild von Kreisau, dem Ort zum `wach für einander werden´, den `Freiheitsräumen´ der „Klubs der Katholischen Intelligenz“ und damit auch der Katholischen Kirche mit.
Und so habe ich auch durch die katholische Kirche meine besten Freunde kennengelernt. Und mit ihnen hat auch sie einen Platz in meinem Herzen.
Lass es Dir gut gehen und mal wieder etwas von Dir hören!

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