Mittwoch, 28. August 2013

Gedanken zur humanitären Intervention


Mit dem Begriff der humanitären Intervention wird allgemein ein gewalttätiger Eingriff eines oder mehrerer Staaten in einen Drittstaat, der auf die Verhinderung massiver Menschenrechtsverletzungen abzielt1, verstanden.
Ob so ein Eingriff geboten ist, ist umstritten.

Nach einer Ansicht2 sind humanitäre Interventionen moralisch unzulässig, da durch die Intervention mit hoher Wahrscheinlichkeit unbeteiligte Menschen ihr Leben verlieren. Das Leben anderer Menschen dürfe nicht durch den Tod auch nur eines einzigen Menschen erkauft werden, auch wenn dessen Tod nicht intendiert sei. Menschen dürften nie als bloßes Mittel behandelt werden.
Einer anderen Ansicht3 zufolge ist die humanitäre Intervention dann gerechtfertigt, wenn ihre Folgen bessere sind als die Folgen einer ausbleibenden Intervention.
Eine weitere Ansicht4 sieht eine Pflicht zur humanitären Intervention bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen.

Die grundlegende Frage ist: Darf man Menschen opfern, um das Leben weiterer Menschen zu retten?

Nach der erstgenannten Ansicht darf man das nicht, da dieser Ansicht zufolge kein Mensch nur als "Mittel" zu einem Zweck behandelt werden dürfe. Nach einer an den Folgen orientierten Ansicht wäre der Tod unbeteiligter Menschen jedoch nicht zwangsläufig ein Mittel zu einem guten Zweck sondern ließe sich auch als eine nicht intendierte Nebenwirkung  betrachten, die moralisch gerechtfertigt wäre, wenn sie nicht gewollt wäre und in einem angemessenen Verhältnis zu den bewirkten positiven Folgen  der Intervention stehe. Eine Nebenwirkung ist dabei dadurch gekennzeichnet, dass es an der Erreichung eines Ziels nichts ändert, ob sie eintritt oder ausbleibt. Der zweiten Ansicht zufolge wären die  Opfer unter Unbeteiligten, wenn sie nicht intendiert und im Verhältnis zu den positiven Folgen nicht unangemessen hoch wären, moralisch gerechtfertigt, und damit auch die humanitäre Intervention. Die dritte Ansicht hält humanitäre Interventionen für auch im Sinne derjenigen, die durch sie in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn die Risiken für die möglichen unschuldigen Opfer „akzeptabel“ seien.

Wenn man unterstellt, dass es als moralisch gerechtfertigt erscheinen kann, Opfer unschuldiger Dritter in Kauf zu nehmen, stellt sich die Frage nach der Angemessenheit: Der Aufrechnung von erwartbaren nicht intendierten Opfern zu durch die Intervention verhinderten Opfern. Das Problem scheint zu sein, dass sich die Frage nach der Angemessenheit von positiver und negativer Wirkung im Falle einer Intervention im Voraus wie selbst im Nachhinein nur sehr unsicher – möglicherweise sogar überhaupt nicht beantworten5 lässt. Ebenfalls problematisch erscheint die Verrechenbarkeit von Folgen durch Tun und Folgen durch Unterlassen. Zudem stellt sich die Frage, ob man im Falle eines möglichen Opfertodes von einem akzeptablen Risiko sprechen kann.

Es erscheint mithin zweifelhaft, ob man das Leben Unbeteiligter opfern darf, um das Leben weiterer Menschen zu retten.
Eine moralische Pflicht zum „Schutz von Gütern von zentraler Bedeutung“  für „extreme Notsituationen“ wie sie die dritte Ansicht vertritt, scheint dazu den Handlungsspielraum von Organisationen zu sehr einzuschränken, der jedoch nötig werden könnte, wenn die Folgen der Intervention nicht absehbar sind.

Bei der Frage, ob Pflicht oder Berücksichtigung der Folgen von entscheidender Bedeutung  für oder gegen den Entschluss zu einer Intervention sein sollte, würde ich der Folgenabschätzung  den Vorrang einräumen, da sie den Gegebenheiten besser Rechnung tragen kann, jedoch im Falle von überwiegender Unsicherheit in Bezug auf die Folgen eine humanitäre Intervention als nicht gerechtfertigt ansehen. Darüber hinaus bleibt dennoch immer die Frage, ob es zulässig ist, den Tod unbeteiligter Menschen (z.B. durch Bombenangriffe) in Kauf zu nehmen.

 

 

(1)    http://www.ethik.uzh.ch/afe/publikationen/Schaber_Intervention_.pdf

(2)    Vgl. Bittner, Rüdiger: Humanitäre Interventionen sind unrecht. In: Meggle, Georg (Hrsg.): Humanitäre Interventionsethik.  Paderborn 2004, S. 99-106.

(3)    Vgl. Steinvorth, Ulrich: Zur Legitimität der Kosovo-Intervention. In: Meggle, Georg (Hrsg.): Humanitäre Interventionsethik. Paderborn 2004, S. 19-30

(4)    http://www.ethik.uzh.ch/afe/publikationen/Schaber_Intervention_.pdf

(5)    Vgl. Müller, Olaf L.: Was wissen Sie über Kosovo? In: Meggle, Georg (Hrsg.): Humanitäre Interventionsethik. Paderborn 2004, S. 84 ff.


 

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