Ursprünglich wollte ich zum neuen Jahr etwas über meine
Ferienlektüre - Ludwik Flecks „Entstehung und Entwicklung einer
wissenschaftlichen Tatsache“ (1935) – aufschreiben. Stattdessen wird es zunächst
ein Rückblick auf das Jahr 1996, da ich vor kurzem beim Durchsehen älterer Tagebuchaufzeichnungen die Notizen
meiner ersten Reise nach Kreisau wiedergefunden habe. Ich stelle sie hier dem
Bericht über Kreisau an die Seite, um diesen durch meinen unmittelbaren
Eindruck von damals zu ergänzen.
1996 kam ich zum zweiten Mal nach Polen und konnte noch kein
Wort Polnisch. In Kreisau wollte ich ein Seminar zum Thema Recht und
Gerechtigkeit besuchen. Bei meinen Aufzeichnungen handelt es sich um
Eintragungen, die ich direkt so aufgeschrieben habe, wie sie mir eingefallen
sind. Das Seminar war für mich die erste Veranstaltung dieser Art. In den
Notizen geht es vor allem um den äußeren Rahmen. Freunde aus Polen habe ich
erst im darauf folgenden Jahr kennengelernt. Viele Begegnungen habe ich auch in
Erinnerung, über die ich leider nichts geschrieben habe, wie etwa mit einer
älteren Frau aus Polen neben mir im Bus, vielleicht im Rentenalter, die sich
mit mir auf Deutsch zu unterhalten begann.
Freitag, 17.05.96
Die ersten Eindrücke von Kreisau
Gestern Abend bin ich in Kreisau angekommen. Es ist eine
große Gutsanlage mit Gutshaus. Die Gebäude, ehemalige Stallungen und Wohnhäuser
schließen einen großen rechteckigen Platz ein. Hinter dem Herrenhaus fließt ein
Nebenfluß der Peile, die die Gutsanlage rückwärtig von den Feldern und dem
Berghaus trennt. Alle Gebäude waren teilweise zerfallen und mußten sogar abgerissen und neu aufgebaut werden.
Man arbeitet heftig an der Wiederherstellung und am Ausbau der Anlage zum
Veranstaltungsort. Die Einrichtung der Zimmer ist im westlichen Standard. Mein
Raum befindet sich über ehemals Schafställen unter dem Dach, seitlich vom
Herrenhaus. Hier sollen bis zum Sonntag 170 Personen untergebracht werden. Die
Konferenz beginnt nach dem Mittagessen. Ihre Thematik und die Referenten
bedeuten mir mehr als der Großteil der Besucher. Es herrscht etwas Schönwetter-Vereinsatmosphäre. Interessanter
sind die Polen. Im Zug habe ich ein nettes Mädchen kennengelernt, die gleich
meine Weiterfahrt nach Schweidnitz organisiert hat. In Schw. dann mit dem Bus
bis kurz vor Kreisau. Dann gelaufen und angekommen. Hier herrscht sympathische
ländliche Atmosphäre. Teilweise sieht es schlimm aus, aber „natürlich“
verfallen. Die Leute scheinen optimistisch zu sein. In meinem Zimmer ist bis
jetzt nur ein Pole von der dpa aus Warschau untergebracht, der mich über die
poln. Gesellschaft informiert. Gestern,
nach dem Abendessen hatte ich noch einen interessanten Spaziergang bei
angenehmen milden Abendtemperaturen zum Berghaus. Wenn man es schon von
Fotografien kennt, ist es ein sehr eigenartiges Gefühl, nun selbst an der
Terrasse zu stehen und sich vorzustellen, wie es früher wohl einmal war.
In dieser Gutsanlage zu wohnen ist sehr gut. Sie besitzt ein
ganz eigenes Ambiente, etwas freiheitlich-festhaftes. So ist es auch ein
bischen Erholungsurlaub vom Streß. Aber
ich werde mich auf die Thematik dieser Konferenz der Stiftung Kreisau für
Europ. Zusammenarbeit konzentrieren.
Die Fahrt nach Kreisau hat sich vollkommen gelohnt. Es ist
ein Glück, daß ich dorthin gefahren bin. Zum ersten Mal auch das geistige Klima
nach dem ich gesucht habe und nicht wußte, wie es sein kann.
Inhaltlich hat mir die Konferenz wenig gebracht. Sie hat
aber meinen Horizont erweitert, was die Probleme und die gesellschaftlichen
Situationen der osteurop. Nachbarstaaten, v.a. Polen betrifft. Ich habe auch
richtig nette Leute kennengelernt (Andreas, Mitarbeiter, Torsten, Jura-Student aus Halle)
und zum ersten Mal Freya von Moltke kennengelernt bzw. gesehen.
Kirchenmenschen, Pfadfinder waren auch dort mit denen ich nett und ruhig
gesprochen habe. Ich hätte mich ja noch
lieber mehr mit jungen Polen unterhalten, zum Beispiel den dort Angestellten
oder Helfenden, die ich sehr interessant und im Falle der Rezeptionsfrau auch
vorbildhaft finde. Die Leiterin der Konferenz ist einmalig. Ich hätte ihr gerne
noch Glück gewünscht. Der Rahmen konnte perfekter nicht sein. Unterkunft und
Wetter blendend, Lagerfeuer für mich ein schöner Abschluß. Ich habe mich zum
Schluß lange mit einem Mädchen aus Brandenburg unterhalten, das am Lagerfeuer
neben mir saß.
Was ist sonst zu sagen:
Das Klavierkonzert mit Veronica Jochum als Abschluß am Sonntag war sehr
beeindruckend. Es fand in der Musikhochschule in Schweidnitz statt. Am 1.
Konferenztag hat man mit Torsten und mir ein Interview geführt. Ich habe mich
in den Zwischenpausen fast durchweg gut unterhalten. Auch der gemeinsame Gesang
als Abschluß des ökumenischen Gottesdienstes hat mir gefallen, wie auch das
Auftreten und der Gesang der Pfadfinder, die das Lagerfeuer erst schön gemacht
haben.
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